Drei steinerne Gebäude

Drei steinerne Gebäude

Knapp fünf Tage später erreichte unsere jetzt verstärkte Gruppe dann die Stadt. Die restliche Reise verlief ereignislos. Nur die Stimmung am abendlichen Lagerfeuer war jetzt etwas lauter. Feuchtfröhlich könnte man auch sagen. Unsere neuen Gefährten tranken ihren Wodka wie wir anderen unser Wasser und erzählten lautstark von erlebten oder erfundenen Abenteuern und Heldentaten. Intellektuell waren sie ja etwas minderbemittelt aber das konnten sie im Kampf leicht durch extreme Stärke, Gewandheit und ungezähmte Wildheit ausgleichen. Es würde sich zeigen, ob sie sich in unsere kleine Gruppe integrieren, oder ob sich unsere Wege in der Stadt wieder trennen würden. Achja, die Stadt. Wie gesagt, eine letzte Anhöhe und da lag sie vor uns auf der Ebene. Eine große Stadt zwar, aber mit höchstens 2.000 Einwohnern und damit weit von der Größe Flußbrüggens entfernt, umgeben von einer hohen Holzpalisade. Zwei prächtige Gebäude ragten über die Palisade mit ihren sieben Türmen hinaus, die restlichen konnten wir von unserem Standort aus nicht erkennen. Rechterhand lag ein großer, bereits zugefrorener See. Einige Zeit später hatten wir das Tor erreicht. Zwei Wachen, schon von weitem an ihrem albernen grün-weißen Eichenwappenumhang zu erkennen, versperrten uns den Weg und fragten nach unserem Begehr, Standardprozedur (SOP für Stadtwachen). Jacques, immer zu einem Schwätzchen aufgelegt, verwickelte die Wachen in ein Gespräch, erklärte, dass wir wegen des Aufrufs des Priesters gekommen seien und fragte nach dem Weg zum Tempel. Das alles stimmte die Wachen schon viel freundlicher und wir durften in die Stadt einreiten. Der Tempel sei die nächste größere Straße links, nicht zu übersehen. Auf geht’s, Zeit ist Geld.
Machten die Holzpalisaden von außen noch einen ganz passablen Eindruck, sah das Innere der Stadt eher heruntergekommen aus. Praktisch alle Häuser waren mehr oder weniger solide Holzhäuser, trotzdem drängte sich mir der Eindruck von Vernachlässigung und Verfall auf. Ganz im Gegensatz zu einem größeren separaten Anwesen, vom Rest der Stadt deutlich abgegrenzt durch eine steinerne Mauer. Darin befanden sich zwei mächtige Steingebäude. Am hinteren Rand des Anwesens ein Art Palast und direkt in der Mitte, scheinbar noch nicht lange fertiggestellt, ein gigantischer Steinbau ohne Fenster. Ein Mausoleum vielleicht? Das war bestimmt nicht billig. Wohl dem, der genügend Untertanen zm Ausbeuten hat. Das waren also die beiden Gebäude, die wir bereits von außen gesehen hatten. Der Tempel konnte dann auch nicht weit sein.
Der Tempel für „Ordnung und Gerechtigkeit“ war, wie konnte es anders sein, ebenfalls aus Stein gebaut, sah von außen aber verhältnismäßig schlicht aus. Auch hier standen zwei Wachen vor der Tür. Für einen Tempel eher ungewöhnlich. Noch dazu die Tatsache, dass es offensichtlich Stadtwachen waren. Ich sage nur Eichenblatt. Adalbert, so kurz vor dem vermeintlichen Ziel, konnte es nicht mehr aushalten. Er sprang vom Pferd und lief auf das Eingangstor zu, nur um dann von den Wachen aufgehalten zu werden. Auch diese Beiden fragten nach unserem Begehr. Komische Frage vor einem Tempel, was würden wir schon wollen. Adalbert, im Grunde ja eigentlich ein ganz umgänglicher Möchte-gern-Paladin, wurde hier offenbar total auf dem falschen Fuß erwischt. Die Anspannung und Quälerei mit dem Helm über die letzen Wochen entlud sich jetzt spontan auf die Wachen. Es entwickelte sich ein kurioser Dialog, Adalbert aggressiv und unverschämt auf der einen Seite, die Wachen professionell und bestimmt auf der anderen. Ich glaube wir waren alle viel zu überrascht um noch irgendwie eingreifen zu können. Das Ende vom Lied war dann ein vorläufiges Tempelverbot für Adalbert und die Auflage sich vor dem nächsten Besuch einer Grundreinigung zu unterziehen und gepflegte Kleidung anzulegen. Haare waschen würde allerdings schwierig werden, aber das wussten die Wachen ja nicht.
Nachdem Adalbert sich auf der Suche nach einer Unterkunft verzogen hatte, versuchte Cart sein Glück. Ein freundlicher Gruß, die sachliche Information, dass wir als Gruppe dem Aufruf des hiesigen Priesters gefolgt seien und schon führte uns eine Wache in den Tempel. So macht man das.
Das innere des Tempels war eine kleine Überraschung. Im Gegensatz zur Außenfassade war das innere prunkvoll gestaltet, die Wände waren mit Kunstwerken und Gemälden übersät und einige vermutlich besonders wertvolle Stücke befanden sich in vergitterten Nischen. Nicht ganz das was ich von einem Tempel der „Ordnung und Gerechtigkeit“ erwartet hatte. Überhaupt nicht. Aber, andere Länder, andere Sitten. Noch gibt es keinen Grund zur Klage. Allerdings beginnt mir zu dämmern, warum die Häuser der gewöhnlichen Stadtbewohner einen eher ärmlichen und ungepflegten Eindruck machten. Konzentration auf das Wesentliche, sozusagen.
Der Priester, eine weitere Überraschung, war ein Zwerg namens Boras. Er vermittelte irgendwie den Eindruck als gehöre ihm der Tempel oder sogar die ganze Stadt. Irgendwie stimmte das vermutlich auch. Nach einer kurzen Begrüßung wandte er sich direkt an Cart und erklärte die Situation. Die Versorgungslage der Stadt Mirrador sei in letzter Zeit immer schlechter, da Rebellen und Wegelagerer die Händler überfallen. Deshalb seien Waren knapp und die Preise hoch. Das wiederum führt zu einer notleidenden Bevölkerung. Achso, deshalb sind die hier alle so arm. Der Fürst und der Tempel arbeiten Hand in Hand an einer Lösung. Eine Nachricht soll an den König überbracht werden, dieser wird um Hilfe in Form von Truppen gebeten, die das Problem der Rebellen aus der Welt schaffen. Alles ganz einfach. Allerdings seien die letzten Boten nie angekommen. Deshalb bedarf es einer schlagkräftigen Gruppe, die auch mal ihr Gehirn benutzen kann. Na, da ist er ja bei uns genau richtig. Der angebotene Lohn für die Erfüllung des Auftrags waren immerhin 5.000 GS, in Worten fünftausend. Das ist eine erkleckliche Menge Gold für eine notleidende Stadt. Irgendetwas stimmt hier nicht.
Boras empfahl uns darüber nachzudenken, er würde uns in einer guten Stunde in unserem Gasthaus aufsuchen um zu erfahren, wie wir uns entschieden hätten.
Gerade wollte ich auf unser kleines Problem mit Adalbert hinweisen, als Cart das Thema schon ansprach. Boras versprach, sich Adalbert mal anzusehen. Daraufhin verließen wir den Tempel und machten uns auf ins das Gasthaus welches die Wache am Eingang Adalbert empfohlen hatte. Die Empfehlung war leicht zu machen, das Gasthaus „Zum Bären“ war das einzige in der Stadt. Wie gesagt, hier stimmt etwas nicht.
Das Gasthaus selbst machte einen ganz normalen Eindruck. Müde Handwerker und Bauern sowie ein Händler oder zwei. Ein Gnomenbarde zupfte eine schwermütige Melodie auf einer Balalaika. Wie angenehm. Und diese Wärme. Hier ließ es sich aushalten. Wir nahmen zwei Zimmer, die beiden Neuen wollten lieber im eigenen Zelt übernachten, und bestellten das Tagesgericht. Das, stellte sich heraus, ein überaus gut gewürzter, man könnte fast sagen scharfer, Gemüseeintopf war. Sehr lecker. Vielleicht hatte der Koch etwas von dem Gewürz zum Verkauf übrig. Die Meinungen über den Eintopf waren allerdings unterschiedlich. Cart schien es nicht so zu munden. Aber immerhin konnte er vermeiden jemanden mit dem ausgespuckten Eintopf zu bekleckern.
In diversen Gesprächen, vor allem auch mit dem Barden, wie schön wieder mal einen Gnom zu sehen, ergab sich für uns folgendes Bild von der Situation in Mirrador.
Vor ungefähr sechs Jahren kam ein sogenannter Fürst mit seinem Gefolge und hat das von sesshaft gewordenen Nomaden gegründete Dorf Mirrador im Namen von König Karuldt  zu seinem Lehen ernannt. Die damaligen Einwohner waren zufrieden einen Beschützer zu haben und das Dorf entwickelte sich schnell zu einer kleinen Stadt. Diverse Handelswege kreuzen sich hier am See. Dann starb unerwartet die Frau des Fürsten  und das Leben der Menschen erfuhr einen spontanen Wandel. Der Fürst erhob hohe Steuern um das Grabmahl für seine Frau bauen zu lassen. Widerstand in der Bevölkerung wurde natürlich unterdrückt. Viele Arbeiter und Bauern geraten in Leibeigenschaft, wenn sie ihre Steuern nicht zahlen. Die Priester und Händler verschlimmern die Situation mit unverschämten Preisen.
Das hört sich nicht gut an. Kein Wunder also, wenn es hier Rebellen gibt.
Dann kam Boras und erläuterte uns nochmals im Detail die Aufgabe. Die Botschaft war für König Karuldt im Königreich Ávangur. Es gab eine Route durch die Tundra und eine am Raureiffluss entlang. Wir sagten zu und erhielten 2.000 GS Anzahlung und die Botschaft. Na. Das reicht doch. Autrag erledigt. Und was machen wir jetzt?
Insgesamt hörte sich das nach leicht verdientem Geld an. Wie gesagt, hier stimmt etwas nicht. Dem Priester kann man nicht trauen. Von wegen Ordung und Gerechtigkeit. Entweder der König lässt uns nach dem Überbringen der Nachricht einkerkern oder schlimmeres oder die Wegelagerer sind wirklich sehr schlimm oder ganz was anderes. Ich würde mal darüber nachdenken müssen. Aber schnell.
Dann untersuchte der Priester noch Adalbert und seinen Helm. Er bot an den Helm für einen Sonderpreis von nur 3.000 GS zu entfernen. Adalbert lehnte aufgebracht und zu recht ab und war daraufhin noch schlechter gelaunt.
Im Verlauf des restlichen Tages stellten wir fest, das die Preise in der Stadt untragbar waren. Die Wolfsfelle verschenkten wir an Bedürftige, da sich ein Verkauf nicht rentiert hätte. Die Nacht im Gasthaus war ruhig.
Am nächsten Morgen besuchte Adalbert nochmals den Tempel. Ich weiß nicht genau, was er getan hat, aber er war mehr oder weniger erfolgreich. Der Helm war ab, dafür hatte er ein Armband erhalten. Das sollte sicherstellen, dass er und damit wir, die Botschaft auch wirklich zum König brachten. Besser als der Helm, vermute ich mal. Nachdem Adalbert sich nochmal gründlich die Haare gewaschen hatte, brachen wir auf. Gar nicht gesund sowas, im Winter die Haare zu waschen. Hoffentlich führte das nicht zu einer Lungenentzündung oder schlimmeren.
Mist, schon über 1.500 Wörter und noch keine Ende in Sicht. Kein Wunder, vor lauter Sonne kann man ja die Hand vor Augen nicht sehen. Zum Glück konnte Cart hier aushelfen. Er fertigte Schneebrillen aus Birkenrinde. Topmodisch und funktional. Super.
Derart geschützt plagten wir uns durch den hohen Schnee, immer den eiskalten Wind im Gesicht. Cart schien die Kälte relativ wenig auszumachen, im Gegensatz zu den anderen war er immer etwas weniger dick bekleidet. Oft sogar mit nackten Oberschenkeln. Die Pferde und vor allem die Ponys hatten aber schon mit dem hohen Schnee zu kämpfen. So kam es, dass Zwerg und ich uns schnell am Ende unserer Gruppe wiederfanden. Abends dann häuften wir sogar einen kleinen Schneewall auf, um uns gegen den Wind zu schützen. Vitali machte uns ein Lagerfeuer auf die konventionelle Art. Jeder wie es ihm gefällt. Dann kommt er auch nicht aus der Übung. Meine ersten Experimente mit anderen Gewürzen fanden leider keine ungeteilte Zustimmung. Kochkurs plus eins.
V und V sowie Cart erlegten später noch erfolgreich Kleinwild. Erstaunlich, in der Gegend, bei dem Wetter.
Cart hatte dann die erste Wache. Nachdem sich alle zur Ruhe gelegt hatten, überzeugte ich Cart davon das es eine gute Idee sei, den Brief an den König zu lesen. Naja, er war nicht wirklich überzeugt, aber er gab mir den Brief und ignorierte mich. Ein kurzer Test, der Brief war nicht magisch. Es sei denn, …, aber darüber wollte ich gar nicht erst nachdenken. Ich öffnete und untersuchte den Brief mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Feinmotorik, scharfe Messer, heißem Wasser, alchimistischen Tricks, eine zur Genialität neigende Intelligenz und nicht zuletzt meinen Zauberkünsten. Ich war auch sicher ihn wieder so verschließen zu können, dass niemand etwas bemerken würde. Der Inhalt allerdings, ja, der Inhalt war eher, wie soll ich sagen, entäuschend? Der König wurde gebeten Truppen nach Mirrador zu entsenden und den Überbringern der Nachricht 3.000 GS auszuzahlen. Gut, gut. Der Priester hatte ja gesagt, es sei eine Aufgabe, bei der man seine Gehirnwindungen anstrengen müsse. Ich hatte schwarz auf weiß niedergeschrieben, dass mit unserem Auftrag alles in Ordnung war, trotzdem konnte ich mich eines unguten Gefühls nicht erwehren. Natürlich wusste ich, dass man neben der Verwendung von Magie und unsichtbaren Tinten geheime Botschaften auch übermitteln konnte ohne sie direkt aufzuschreiben. Und selbst wenn die Botschaft stimmte, wer sagte uns denn, dass der König bereit war auf Geheiß eines seiner möglicherweise selbsternannten Vasallen soviel Gold zu investieren. Alles in allem, es schien ein idealer, einfacher Auftrag und trotzdem lag er mir irgendwie im Magen. Ich verschloß den Brief sorgfältig und gab ihn Cart zurück. Schlafen konnte ich diese Nacht nicht richtig. Irgendetwas hatte ich übersehen. Aber was?
Der nächste Tag verlief wie der letzte. Kalter Wind, tiefer Schnee, grelle Sonne, lange Weile. Und dieses nagende Gefühl etwas vergessen zu haben. Gegen Mittag dann wurde Cart von seinem Falken auf etwas aufmerksam gemacht. Nicht weit vor uns, in unserer Richtung wurde eine menschliche Gestalt von Wölfen angegriffen. Schon wieder. Unsere Heißsporne waren sofort Feuer und Flamme. Das musste die Langeweile sein. Sie trieben die Pferde so schnell wie möglich durch den Schnee hinter dem Falken her. Mussten wir uns denn überall einmischen? Schon kurze Zeit darauf konnten wir den Kampf hören. Fünf weiße Wölfe hatten eine Frau auf ihrem Pferd umzingelt und versuchten das Pferd zu Fall zu bringen hatten aber offenbar großen Respekt vor dem Bogen der Frau. Cart, bereits an der Spitze greift seinen kurzen Spieß und versenkt ihn in vollem Ritt in einen der Wölfe. Die Brüder V und V zügeln die Pferde und griffen zu ihren Bögen. Jacques, der hinten bei den Ponys lief ebenso. Ich selbst gramte meine selten benutzte Schleuder hervor und legte ein Steinchen ein während die Anderen Cart folgten. Es entbrannte ein kurzer aber wilder Kampf. Mein Steinchen war überraschenderweise ein Volltreffer bewirkte aber trotzdem eher wenig. Außer natürlich, dass mich einer der Wölfe bemerkte und auf mich zukam. Ich konnte nicht schnell genug ausweichen und wurde empfindlich in die Wade gebissen. Meine erste Verletzung seit Beginn der Aufzeichnungen. Tue Buße, Wolf! Da hatte ich doch noch diesen nie verwendeten Zauber. Friss das, Wolf! Eine große Flamme schoß aus meinen Händen und der Wolf brannte lichterloh. Ha! Bevor der Wolf richtig wusste was mit ihm geschehen war, hatte ich noch einen Säurepfeil in seinem Auge versenkt. Röchelnd und jaulend wälzte sich der jetzt nicht mehr weiße Wolf im Schnee um dann mit einem letzten Aufbäumen zu verenden. In der Zwischenzeit hatten meine Gefährten die anderen vier Wölfe ebenfall routiniert beseitigt. Zeit nochmal gegen den toten Wolf zu treten, die Wunden zu lecken und uns der holden Maid auf dem Pferd zu widmen.

Vier verwegene Späher

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